Hintergründe zur aktuellen US-Militärpräsenz in Europa
Der nachfolgende Text von Karl-Heinz Peil wurde entnommen aus einer Broschüre, die im September 2023 unter dem Titel “Konversion der Coleman Barracks in Mannheim” von dem Förderverein für Frieden, Abrüstung und internationale Zusammenarbeit e.V. in Mannheim herausgegeben wurde.
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US-Militärpräsenz in Osteuropa
Mit dem Ende des Kalten Krieges, dem Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990 und der Auflösung des Warschauer Paktes gab es seinerzeit auch Zusagen an Russland (bzw. die noch existierende Sowjetunion), dass es keine Osterweiterung der NATO geben werde, allerdings nicht in schriftlicher bzw. vertraglicher Form. Im Zuge der dennoch erfolgten schrittweisen Erweiterung der NATO wurde 1997 die NATO-Russland-Grundakte über Partnerschaft geschlossen, die als völkerrechtliche Absichtserklärung anzusehen ist. Wörtlich heißt es:
„Die NATO wiederholt, dass das Bündnis in dem gegenwärtigen und vorhersehbaren Sicherheitsumfeld seine kollektive Verteidigung und andere Aufgaben eher dadurch wahrnimmt, dass es die erforderliche Interoperabilität, Integration und Fähigkeit zur Verstärkung gewährleistet, als dass es zusätzlich substantielle Kampftruppen dauerhaft stationiert.“
Dies geschah zu einem Zeitpunkt, als noch kein osteuropäischer Staat Mitglied der NATO war, aber entsprechende Absichtserklärungen vorlagen.
Seit Beginn der Ukraine-Krise im Jahr 2014 führt die NATO verstärkt Großmanöver in den neuen osteuropäischen Mitgliedsstaaten durch. Kampftruppen der USA und anderer NATO-Staaten werden seither zwar vermehrt in Osteuropa stationiert, allerdings zur formalen Einhaltung des Abkommens von 1997 nach dem Rotationsprinzip. Das bedeutet, dass nach einem halben Jahr ein Austausch stattfindet und sie somit formal nicht dauerhaft stationiert sind.
Dazu erfolgt seit 2015 durch die U.S. Army ein ständiger Ausbau der logistischen Präsenz sowohl in Deutschland und den Benelux-Staaten wie auch in Osteuropa. Dieses erfolgte unter der Operation „Atlantic Resolve“, wobei zunächst eine Neustationierung mit ca. 500 Militärfahrzeugen, darunter ca. 100 Abrams Panzern erfolgte. Für deren ständige Rotation zwischen osteuropäischen und „alten“ NATO-Staaten wurden u.a. die Coleman Barracks als „European Activity Set“ eingerichtet. Als logistische Drehscheibe rückte dieser Standort vor allem bei den Vorbereitungen des Großmanövers „Defender 2020“ in den Fokus.
Truppenübungsplätze der U.S. Army in Europa
Abb. 1: US-Soldaten bei der Inspektion militärischer Ausrüstung in Grafenwöhr nach der Anlieferung von der Coleman Worksite in Mannheim | Foto: U.S. Army / Destinee Rodriguez | 9.3.2022
Abb. 2: Bradley-Kampfpanzer beim Verladen auf einen Schwertransport-Lkw der Bundeswehr auf der Coleman Worksite für den Einsatz in Grafenwöhr (im Rahmen des „Host Nation Support“ der Bundeswehr| Foto: U.S. Army / Jason Todd | 15.3.2023.
Anmerkung: Die U.S. Army verfügt über eigene Schwerlasttransporter auf der Coleman Worksite in Mannheim.
Wichtigster Übungsplatz der U.S. Army in Deutschland ist Grafenwöhr in der Oberpfalz. Zusammen mit den benachbarten Standorten Vilseck und Hohenfels ist er der größte Ausbildungsstandort der US-Armee außerhalb der Vereinigten Staaten. Inklusive der 2.000 bis 3.000 Mann starken Brigaden, die hier jeweils drei Monate üben, sind hier rund 14.000 Soldaten stationiert. (DFG-VK, 2022)
In zunehmenden Maße finden auch Übungen der U.S. Army mit militärischem Großgerät in Osteuropa statt, vor allem in Polen, dem Baltikum sowie Rumänien und Bulgarien.
Durch den Ukraine-Krieg haben die Truppenübungsplätze in Deutschland noch zusätzliche Bedeutung durch die hier erfolgende Ausbildung ukrainischer Soldaten. Neben Grafenwöhr sind dies vor allem Hohenfels (ebenfalls in der Oberpfalz) und Baumholder (in Rheinland-Pfalz).
Manöver wie Defender Europe haben die Aufgabe, sowohl die Transport- und Lagerlogistik einzuüben als auch die Zusammenarbeit der verschiedenen nationalen Militärverbände zu erproben (Claudia Haydt, 2022)
Abb. 3: Militärfahrzeuge auf der Coleman Worksite, Quelle: Google Earth, Mai 2021
Logistikzentren der U.S. Army in Europa
„Army Prepositioned Stock“ (APS) bezeichnet ein System der U.S. Army, das bis 2015 unter dem Namen „European Activity Set“ geführt wurde. Mit der neueren Bezeichnung wurde ein einheitliches System für die Logistik der U.S. Army eingeführt, das auf eine weltweit vorgesehene Einsatzfähigkeit ausgerichtet ist. Im Kern beinhaltet dieses, dass mit regionalen Logistikzentren eine schnelle Verlegung von Kampftruppen möglich ist, die ihre militärische Ausrüstung vor Ort vorfinden. Das heißt, dass vor allem militärisches Großgerät mit gepanzerten Fahrzeugen relativ nahe an möglichen Einsatzorten für Übungen und Kriegshandlungen vorhanden sind.
Dazu wurden weltweit sieben Regionen definiert, wobei APS-2 für Europa steht und APS-7 für Afrika. Für Europa sind fünf Standorte definiert, von denen drei zur U.S. Army Garrison Benelux gehören:
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Dülmen, Nordrhein-Westfalen
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Eygelshoven, Holland
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Zutendaal, Belgien
Weitere Standorte sind die Coleman Barracks in Mannheim (U.S. Army Garrison Rheinland-Pfalz) sowie Powidz in Polen. Letzteres gehört indirekt zur U.S. Garrison Rheinland-Pfalz, da das verantwortliche Bataillon in Mannheim (siehe unten) angesiedelt ist.
Ein weiterer europäischer Standort ist Livorno in Italien (Hafenstadt in der Nähe von Pisa). Livorno ist jedoch für Einsätze in Afrika konzipiert und gehört damit zu APS-7.
Am Standort Powidz befindet sich ein Luftwaffenstützpunkt des polnischen Militärs (33rd Air Base). Beginnend mit 2019 wurde dieses als Logistikzentrum ausgebaut, das nach Abschluss der umfangreichen Baumaßnahmen im April 2023 offiziell eröffnet wurde. Der Gebäudekomplex beinhaltet u.a. fünf Lagerhäuser in einer Größe von je 200 x 60 m (Länge x Breite) und einem neu errichteten Bahnanschluss. In diesen wird das militärische Großgerät mit Klimaanlagen vorgehalten. Des Weiteren beinhaltet der Komplex eine große Werkstatt für Wartung und Reparatur sowie ein Munitionsdepot.
Abb. 4: Modellzeichnung der neuen APS-2 in Powidz. Im Hintergrund ist die Start- und Landebahn der 33rd Air Base zu sehen. Foto: U.S. Army
Zutendaal in Belgien wurde in den letzten Jahren erheblich ausgebaut, von 15 auf 23 klimatisierte Lagerhäuser (Größe je 60 x 60 m).
Eygelshoven in Holland besteht u.a. aus acht klimatisierten Lagerhäusern (Größe je 90 x 55 m).
Die Lagerbestände in Mannheim werden in einem Fact Sheet der U.S. Army aus dem Jahr 2020 im Unterschied zu den anderweitig genannten Standorten als „temporär“ bezeichnet. Nachvollziehbar ist dieses dadurch, dass die Lagerung der militärischen Großgeräte im Außenbereich und damit nicht in klimatisierten Hallen erfolgt.
Für Europa sind diese Lagerbestände neben der Nutzung auf regionalen Truppenübungsplätzen wie in Grafenwöhr vor allem relevant für:
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Serie der Großmanöver Defender Europe (jährlich seit 2020)
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Lieferung von Kriegsmaterial an die Ukraine
Abb. 5: APS-2 Standorte und damit verbundene militärische Strukturen der U.S. Army (Powidz liegt außerhalb des Kartenausschnittes zwischen Posen und Warschau). Grafik: Eigene Darstellung
Logistikstruktur der U.S. Army in Europa
Materiallieferungen aus den USA erfolgen seit 2015 an Standorte in das Baltikum (Estland, Lettland, Litauen), Polen, Rumänien und Bulgarien für Kriegsmanöver sowie seit 2022 für direkte Kriegseinsätze an die Ukraine.
Als militärische Struktur für die APS-2 verantwortlich ist die 405th Army Field Support Brigade (AFSB). Diese wiederum besteht aus mehreren Bataillonen (AFSBn). Die Zuständigkeiten des in Mannheim ansässigen AFSBn wurden 2021 nach Dülmen übertragen. Seitdem ist das AFSBn in Mannheim für den APS-2 Standort Powidz zuständig.
Übergeordnete operative Kommandoeinheit für das AFSB ist das 21st Theater Sustainment Command mit Sitz in Kaiserslautern. Gesamthaft unterstellt sind diese Strukturen dem Hauptquartier US Army Europe (and Africa), das 2012 von Heidelberg nach Wiesbaden-Erbenheim verlegt wurde.
Konzipiert sind die beschriebenen APS so, dass damit die 405th AFSB vier Kampf-Brigaden versorgen kann.
Angesiedelt bei der U.S. Army Garrison (USAG) Rheinland-Pfalz ist auch der „Army Support Activity Black Sea“, zuständig für zwei südosteuropäische Standorte:
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in Rumänien die Air Base Mihail Kogalniceau, die von der U.S. Air Force stark genutzt wird
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in Bulgarien der Truppenübungsplatz Novo Selo Training Area
Die 405th AFSB ist auch verantwortlich für die regionalen Logistikzentren, u.a. für das Logistics Readiness Center Rheinland-Pfalz in Baumholder.
Logistik-Drehscheibe Rheinland-Pfalz
Abb. 6: Logistisch wichtige Einzelstandorte der U.S. Garrison Rheinland-Pfalz und der Truppenübungsplatz Baumholder. Grafik: Eigene Darstellung
Anmerkungen zu den aufgeführten Standorten:
– Germersheim: Gefahrstofflager, das der zivilen U.S. Defense Logistic Agency (DLA) untersteht.
– Pirmasens: U.S. Army Medical Materiel Center-Europe
– Sembach: Hauptquartier der 30th Medical Brigade für medizinische Unterstützung für Einsätze in Europa und Afrika
– Miesau: Größtes Munitionsdepot des US-Militärs weltweit
– Ramstein: Wichtigstes Transport-Drehkreuz der U.S. Air Force weltweit
– Nähe Ramstein: Landstuhl Regional Medical Center als größtes US-Hospital außerhalb der USA / Neubau in Weilerbach angrenzend an die Air Base
– (Truppenübungsplatz) Baumholder: Logistics Readiness Center Rheinland-Pfalz
Die gesamte USAG Rheinland-Pfalz unter Einschluss Mannheims beinhaltet die weltweit wichtigste logistische Drehscheibe des US-Militärs. Die Gesamtzahl der Soldaten und Zivilangestellten beträgt ca. 22.000 Personen. Einen wesentlichen Anteil hat dabei die U.S. Air Force in Ramstein. Hinzu kommen noch ca. 25.000 Familienangehörige und Dienstleister.