von Karl-Heinz Peil


Rockwell-B-1-Bomber auf dem US-Stützpunkt Diego Garcia im Indischen Ozean. Bild: U.S. Air Force

US-Militärbasen weltweit: Vom großen Stiefelabdruck bis zur Unsichtbarkeit

Zur Darstellung der globalen US-Militärpräsenz kursiert seit Jahren die grob geschätzte Zahl von 800 Militärbasen in fremden Ländern und (eigenen) Überseeregionen. Damit wird in der Regel plakativ der Charakter des US-Imperiums veranschaulicht, was auch als “Power projection” bezeichnet wird. Dieser Begriff kann aber irreführend sein, da es bei Militärbasen nicht nur um provozierend wahrnehmbare, sondern auch um (fast) unsichtbare militärische Präsenz geht. Fragwürdig ist auch die genannte Gesamtzahl, die aber für Vergleichszwecke unverzichtbar ist.

Betrachtet man die Anzahl von fremden Militärbasen aller anderen Staaten der Welt, so haben diese lediglich einen Anteil von etwas mehr als fünf Prozent. Noch gravierender ist der Unterschied, wenn man von diesem Rest den Anteil der Nato-Staaten Großbritannien und Frankreich abzieht. Vor allem interessiert natürlich, warum Deutschland und Japan gemessen an der offiziellen Zahl an US-Militärstandorten weltweit Spitzenreiter sind. Während sich diese Frage bei Japan angesichts der US-Militäreskalation in Fernost von selbst beantwortet, ist dieses für Deutschland durch die neue Nato-Konfrontation gegenüber Russland nur begrenzt erklärbar.

Wichtiger ist die logistische Drehscheibenfunktion des Standortes Deutschland für die weltweite US-Militärpräsenz. Dazu müssen die strategischen Konzepte verstanden werden, mit den die weltweite US-Militärpräsenz erfolgt, die sich über ca. 80 Länder dieser Welt erstreckt. Diese griffige Zahlenkombination – 800 Militärbasen in 80 Ländern – stammt von David Vine, Professor der Anthropologie in Washington, der diese Entwicklungen und Hintergründe in insgesamt drei Buchveröffentlichungen in den Jahren 2009, 2015 und 2020 dargestellt hat.

In seinem ersten Buch “Island of Shame” behandelt er das “Strategic Island Concept” des US-Militärs. Dieses beruht im Prinzip auf einige Deals von US-Regierungen mit dem vormals britischen Imperium, die bis auf das Jahr 1940 zurückgehen. Damals gab es von US-Präsident Roosevelt einen Deal, der die Lieferung von dringend benötigten Kriegsschiffen – noch aus der Zeit des Ersten Weltkriegs – im Krieg gegen Deutschland gegen die Überlassung von Inseln des britischen Imperiums vorsah.

Dieses ergab eine aus damaliger Sicht klassische Win-win-Situation: Der Kongress wurde außen vor gelassen, da man sich ja noch offiziell aus den Kriegshandlungen in Europa heraushielt, während das kriegsbedingt fast bankrotte Großbritannien unentgeltlich Waffen erhielt.

Damit erfolgte der erste strategische Schritt der USA zur weltweiten Präsenz mit Militärbasen, was nach dem Zweiten Weltkrieg kontinuierlich ausgebaut wurde. In seinem letzten Buch “The United States of War” beschäftigt sich David Vine nochmals mit diesem Deal und dem eigenen Eingeständnis, dass er selbst dessen epochale Wirkung lange unterschätzt habe. Schließlich führte der Zweite Weltkrieg ja zu Tausenden von (temporären) US-Stützpunkten, weshalb dieser Deal historisch wenig Beachtung fand.

In seinem ersten Buch behandelt David Vine ausführlich die Übernahme der kleinen, aber strategisch für das US-Militär optimal gelegenen Insel Diego Garcia im Indischen Ozean über einen Mietvertrag mit den Briten, der 1968 mit einer Laufzeit von 50 Jahren abgeschlossen wurde. Den Kollateralschaden durch die notwendige Vertreibung der etwa 2000 Einheimischen nahm man dabei bewusst in Kauf.

David Vine wurde durch die Kontakte mit den Vertriebenen von Diego Garcia auch zum politischen Aktivisten, da er sich bis heute für deren Rechte einsetzt. Dieser Kampf erfolgt auch auf juristischem Wege, über positive Bescheide zum Rückkehrrecht, zuletzt 2019 durch den Internationalen Gerichtshof, der auch eine völkerrechtlich notwendige Rückgabe der Insel durch Großbritannien an Mauritius anmahnte.

Die 50-Prozent-Buchhaltung des Pentagons

Ein zweiter US-Autor, der sich schwerpunktmäßig mit US-Militärbasen im Ausland befasst, ist Nick Turse, Journalist und politischer Aktivist in New York. Er hat sich auf Recherchen basierend auf der Freigabe von Dokumenten nach dem “Freedom of Information Act” spezialisiert und damit einige Einblicke in die Grauzonen der Pentagon-Buchhaltung bekommen. Ein Anfang 2019 von ihm auf der US-Homepage Counterpunch erschienener Beitrag hat die Überschrift “Bases, Bases, everywhere … Except in the Pentagon‘s Report“.

Könnte man nur unter Bezug auf David Vine die Gesamtzahl der US-Militärbasen noch als spekulativ bezeichnen, so ist Nick Turse derjenige, der diese Zahl intensiv geprüft und plausibilisiert hat. Beide Autoren haben unabhängig voneinander den offiziellen “Base Structure Report – BSR” des Pentagon geprüft. (Relevante Auszüge daraus kann man hier und hier abrufen). David Vine nennt in seinem ersten, o.g. Buch noch die Zahl von rund 1.000 US-Militärbasen weltweit unter Bezug auf den BSR für das Haushaltsjahr 2007.

Vor allem ist aber bei der heutigen Reduzierung auf 800 zu berücksichtigen, dass seit 2001 die offizielle Anzahl an “Installations” bzw. “Sites” in Deutschland von 325 auf 119 zurückgegangen ist. Vereinfachend lässt sich deshalb sagen, dass an der mittlerweile deutlich reduzierten Gesamtzahl von US-Militärbasen weltweit der Standort Deutschland den größten Anteil hat. Der tatsächliche Umfang ist aber nicht prüffähig. So sind zu 87 namentlich ausgewiesenen “Sites” auch 32 “Other Sites” aufgeführt.

US-Militärbasen in Deutschland

Spangdahlem Air Base. Bild: U.S. Air Force

Eine detaillierte Prüfung zeigt nämlich einige Ungereimtheiten und mangelnde Logik, worauf hier nur exemplarisch eingegangen werden kann. So ist das US-Hospital in Landstuhl mit fünf einzelnen “Sites” enthalten. Enthalten sind im BSR auch Standorte des nationalen Militärs mit strategischer US-Präsenz. Deshalb ist z.B. der Bundeswehr-Fliegerhorst Büchel mit den dort gelagerten US-Atomwaffen aufgeführt, nicht aber der Militärflugplatz Volkel in den Niederlanden, für den selbiges gilt.

Die Nicht-Erwähnung von Volkel als Standort von US-Atomwaffen der nuklearen Teilhabe innerhalb der Nato ist aber kein Staatsgeheimnis, sondern eine über Wikipedia-Artikel frei zugängliche Information. Der Militärflugplatz Kleine Brogel in Belgien, wo ebenfalls US-Atomwaffen lagern, wird hingegen im BSR gelistet.

Dafür stößt man hier bei Betrachtung von anderer Stelle auf eine Merkwürdigkeit: Bei den über Google Earth einsehbaren Satellitenbildern gehört das dortige Atomwaffendepot zu den wenigen militärischen Anlagen, wo die aktuellen Satellitenbilder (aber nicht die historischen Bilder) verpixelt sind. Eine subtile Zensur bei der Darstellung militärischer Anlagen besteht hingegen bei Google Earth darin, dass vor allem im Irak und in Afghanistan nur völlig veraltete Satellitenbilder zu sehen sind.

Die nicht offiziellen Stationierungsorte von Kampfdrohnen in Afrika und dem Mittleren Osten können hingegen mit aktuellen Satellitenbildern problemlos eingesehen werden, wobei der Vergleich mit historischen Aufnahmen einen guten Eindruck von US-Aktivitäten der letzten Jahre liefert. Rein praktisch setzt dieses aber voraus, dass man die Geo-Koordinaten dieser Standorte kennt.

Dass diese leicht zu ermitteln sind, ist einem Projekt zu verdanken, das seit mehreren Jahren auf Basis einer Zusammenarbeit mit Openstreetmap und Wikimedia entwickelt und fortgeschrieben wird. Im OpenStreetBrowser sind ab einer bestimmten Zoom-Stufe “Military layer” als Kartendarstellung sichtbar, wenn diese als Darstellungsoption eingeschaltet werden.

Screenshot OpenStreet Browser

Militärische Sperrgebiete und teilweise vorhandene Klartextbezeichnungen sind dort zu fast 100 Prozent vorhanden. Anhand der Geo-Koordinaten lässt sich dieses dann leicht mit Satellitenaufnahmen in Google Earth abgleichen. Doch zurück zum BSR: Bis Ende 2017 (für das Haushaltsjahr 2018) erschien der BSR jährlich und ist seitdem in der Versenkung verschwunden. Eine Nachfrage des Autors bei David Vine zu den Gründen ergab eine lapidare Antwort: Donald Trump.

Dass die offizielle Buchhaltung von ihm von 50 Prozent auf null heruntergeschraubt wurde, dürfte weniger mit politischem Kalkül zu tun haben, als vielmehr mit seinen Eigenheiten, das Präsidentenamt ebenso zu führen wie sein Immobilienimperium. Schaut man sich den BSR nämlich näher an, so hat dieser eindeutig den Charakter eines Immobilienreports, mit Angaben von Einzelflächen, eigenen und gemieteten Gebäuden sowie sich daraus ergebenden Größensortierungen.

Eine derartige Transparenz stand wohl im Widerspruch zu Trumps Geschäftsgebaren als Immobilienmogul. Allerdings bestünde eine wirkliche Transparenz des Pentagons nicht in einem aktuellen und umfassenden Immobilienreport, sondern in der vollständigen Nennung und militärischen Klassifizierung militärischer Standorte. Offiziell werden vom Pentagon vier Kategorien unterschieden, bei denen die wichtigste als “Main operating base (MOB)” bezeichnet wird.

Die nachgeordneten Militärbasen in Regionen mit Kriegseinsätzen werden als “Forward operating base” bezeichnet. Mit den gewissermaßen synonymen Bezeichnungen “Forward operating site” und “Forward operating location” werden solche Standorte deklariert, bei denen eine Truppenrotation bzw. Vorhaltung für bedarfsweise Aufstockungen erfolgt. Umfang, Quellennachweise und Aktualität für solche Zuordnungen sind allerdings sehr dünn, was z.B. auch aus Artikeln in der englisch- und deutschsprachigen Wikipedia erkennbar ist, wo man ansonsten über Militärbasen mit Übersichten und Einzelbeiträgen hervorragend informiert wird.

Das Africom in Stuttgart und Seerosen in Afrika

Noch undurchsichtiger ist die vierte Kategorie mit der offiziellen Bezeichnung “Cooperative security location (CSL)“. Ebenso wie bei der vorgenannten Kategorie wird hier der Begriff “base” konsequent vermieden. David Vine umschreibt in seinem Buch “Base Nation” unter Bezug auf eigene Gespräche mit US-Militärs deren Charakter wie folgt: “No flag, no forward presence, no families”. Das heißt: Keine “Power projection”, kein “Little America” ziviler Infrastruktur, keine US-Fahnen und wenig oder überhaupt kein sichtbares US-Militär.Letzteres ist insofern unproblematisch, da ohnehin immer mehr militärische Aufgaben an zivile Dienstleister outgesourct werden. Anstelle des Kürzels CSL gibt es noch eine andere, halb- und inoffizielle Umschreibung: Lily pads (Seerosen). Diese dienen hier als Metapher aufgrund ihrer Eigenschaft, dass sich auf ihnen Frösche unauffällig bewegen können, mit Sprüngen von Blatt zu Blatt, ohne dabei einen Fußabdruck zu hinterlassen.Die Lily Pad Strategie ist nach David Vine insofern eine Weiterentwicklung der “Strategischen Inseln”, weil es in beiden Fällen darum geht, örtlichen Widerstand gegen die US-Militärpräsenz zu unterbinden, bzw. zu gewährleisten, dass dieser aufgrund der isolierten Lage der Militärbasen nicht die kritische Masse erreicht. Lily Pads werden meistens am Rande von Zivilflughäfen oder an nationalen Militärstandorten versteckt.Besondere Relevanz hat dieses Prinzip für Afrika. 2008 wurde in Stuttgart das US-Regionalkommando Africom eingerichtet. Vorausgegangen war dieser Festlegung eine Standortsuche in Afrika selbst. Keines der Länder, mit denen entsprechende Verhandlungen geführt wurden, war jedoch dazu bereit, dieses als Gastland aufzunehmen. Daraus zu folgern, dass Stuttgart deshalb eine Verlegenheitslösung wäre, führt jedoch zu einem Trugschluss.Hierzu muss man verstehen, nach welchen Kriterien in den letzten 20 Jahren von den US-Militärs neue Standorte für Militärbasen akquiriert wurden. Abseits der Haupt-Kriegsschauplätze Afghanistan und Irak mit der dort zeitweise vorhandenen Vielzahl größerer Militärbasen wurde nach Recherchen von David Vine spätestens 2009 die Lily Pad-Strategie offiziell.David Vine schätzt in seinem Buch “Base Nation” aus dem Jahr 2015, dass mindestens 50 derartige Standorte erfolgreich akquiriert wurden, vor allem in Afrika. An offiziellen Verlautbarungen über Einsatzorte in Afrika, die vom Africom in Stuttgart gesteuert werden, erfahrt man natürlich sehr wenig.Der Africom-Kommandant berichtet aber seit einigen Jahren regelmäßig vor dem US-Senat über die von ihm geleiteten militärischen Aktivitäten. Im veröffentlichten (Teil-)Bericht 2020 von General Townsend, der diesen Posten sechs Monate zuvor übernommen hatte, heißt es z.B. fett gedruckt: “Die Operationen des U.S. Africa Command sind ein Schnäppchen für Amerika … ein kleine Prävention, die nur ein paar Cent pro Dollar unserer Verteidigungsausgaben ausmacht.”

Ähnliches findet sich in dem entsprechenden Bericht für 2021. Auffallend ist aber im Vergleich beider Berichte, dass bei der Nennung strategischer Rivalen mittlerweile Russland weniger relevant gegenüber China geworden ist. Dieses beiden Ländern wenig Raum zu geben, ist für das Africom eindeutig die selbst so definierte strategische Kernaufgabe.

Offiziell sind (gemäß BSR) US-Militärbasen in Afrika nur in Djibouti und Kenia vorhanden. David Vine geht hingegen – vor allem basierend auf den Recherchen von Nick Turse – von mindestens 40 Ländern Afrikas aus, in denen eine US-Militärpräsenz angenommen werden kann. Die mittlerweile zahlreichen Stationierungsorte für Kampfdrohnen sind auch gemäß Definition des US-Militärs keine “bases”, sondern nur “Forward operating sites” im Kampf gegen Terrorismus.

Diese Standorte sind allerdings auf relativ wenige Länder wie Djibouti, Niger, Mali und Tunesien beschränkt. Es bleibt deshalb die Frage, welche Interessen die meisten afrikanischen Länder an der US-Militärpräsenz über Lily Pads haben, insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit dieser Länder die USA gegenüber China und Russland zunehmend an Boden verlieren, was ja vom Africom als Hauptproblem angesehen wird. David Vine verweist dazu auf die “Kernkompetenz”, bei denen die USA nach wie vor weltweit führend sind.

Um die Effizienz des nationalen Militärs zu verbessern, sind die jeweiligen Machthaber in Afrika gerne dazu bereit, US-Militärs als Ausbilder ins Land zu holen, deren Hauptbeschäftigung ohnehin in der Ausbildung des eigenen Personals besteht. Dieses kann über Lily Pads problemlos erfolgen und bedarf keiner hoch angesiedelten Militärmission wie z.B. bei dem EU-Einsatz in Mali (EUTM) unter starker Bundeswehrbeteiligung.

Nur am Rande sei an dieser Stelle vermerkt, dass mit dem derzeit laufenden US-Abzug aus Afghanistan keineswegs ein Ende des Krieges verbunden ist, sondern nur das Ende der Vor-Ort-Präsenz mit Militärbasen, gemäß der entsprechenden Ankündigung von US-Präsident Joe Biden vom 15. April. Praktisch bedeutet dies eine Verlagerung auf verdeckte Operationen von Kleinst-Standorten und Drohnen-Stützpunkten außerhalb des Landes und eine erweiterte Lily Pad-Strategie. (Siehe dazu auch den Beitrag von Helmut Scheben im Infosperber vom 17.6.2021: “Afghanistan: Der Hightech-Krieg wird weitergehen“).

Deutschland: vom Frontstaat zur logistischen Drehscheibe

In den Jahren 2002 bis 2004 vollzog sich bei der US-Truppenstationierung in Deutschland ein fundamentaler Wandel. Dazu gehörte nicht nur eine drastische Reduzierung der Stationierungsorte (praktisch als “zweite Welle” nach den Reduzierungen bis Mitte der 90er-Jahre). Vor allem erfolgte eine Konzentration der Ressourcen in Rheinland-Pfalz und dort wiederum im Großraum Kaiserslautern mit dem Ausbau der Ramstein Air Base. Damit einher wurde auch die am Frankfurter Flughafen angesiedelte Rhein-Main Air Base nach Ramstein (Transportflugzeuge) und Spangdahlem (Kampfjets) verlagert.

Im Torbogen des früheren Haupteingangs der Rhein-Main Air Base stand der Text-Zusatz “Gateway to Europe”, der den Charakter der Air Base in den Jahrzehnten des Ost-West-Konfliktes bis 1989 symbolisierte. Neue Funktionen nach der Umsiedlung auf die Ramstein Air Base wurden erstmals 2012 von dem früheren US-Drohnenpiloten Brandon Bryant und 2013 von dem Whistleblower Edward Snowden enthüllt. Ohne die Satelliten-Relaisstation (als technisches Gateway) in Ramstein sei der weltweite US-Drohnenkrieg technisch nicht durchführbar, so deren übereinstimmende Aussagen.

Dieses führte 2015 zur Gründung der Kampagne “Stopp Air Base Ramstein” mit dem Fokus auf die völkerrechts- und grundgesetzwidrigen Aktivitäten des US-Militärs unter Nutzung der technischen Infrastruktur auf deutschem Boden. Wohl im Bewusstsein dieser Abhängigkeit von Ramstein und der unerwünschten Aufmerksamkeit durch die deutsche Friedensbewegung wurde deshalb von den US-Militärs 2017 damit begonnen, auf der Sigonella Air Base in Sizilien eine parallele Anlage dieser Art aufzubauen.

Das aktuelle Satellitenbild zeigt, dass diese Anlage mit identischem Aufbau wie in Ramstein mittlerweile wohl verfügbar ist. Diese Funktion müsste deshalb ebenso wenig zwingend in Ramstein angesiedelt sein, wie z.B. die Zentrale des US-Raketenabwehrsystems, das in Polen und Rumänien installiert ist. Hingegen ist Ramstein als Logistikzentrum für die Versorgung weltweit vorgeschobener Militärbasen unabdingbar.

Beispielsweise ist in der deutschsprachigen Wikipedia zu der vor einigen Jahren errichteten US Air Base bei Agadez in Niger zu lesen: “Der Militärflugplatz, die Base aérienne 201, wurde im August 2019 mit einem Flug einer C-130J aus Ramstein eingeweiht. Hier setzen die USA seither unter anderem Drohnen ein.

Nicht nur Kampfdrohnen, sondern auch US-Kampfjets können weltweit nur operieren, wenn sie möglichst lange in der Luft gehalten werden können. Auf der Ramstein Air Base ist deshalb eine Staffel mit Tankflugzeugen stationiert. Wenn man von der Ramstein Air Base spricht, einem aufgrund der dortigen zivilen Infrastruktur “Little America”, muss man auch die gesamte militärische Infrastruktur in der Region mit einbeziehen, mit mehreren Kasernen der US Army in Kaiserslautern, dem wohl größten Munitionsdepot des US-Militärs in Miesau, dem US-Hospital in Landstuhl und dem Truppenübungsplatz Baumholder.

Auch das in Germersheim am Rhein gelegene Giftstofflager, das von der Defense Logistic Agency (DLA) betrieben wird, ist wesentlicher Teil der Logistikkette. Gegen dessen starken Ausbau wehrt sich eine örtliche Bürgerinitiative wegen der erheblichen Umwelt- und Gesundheitsrisiken.

Auch eigentliche stillgelegte Flächen und städtebaulich dringend benötigte Flächen, wie die Coleman-Barracks in Mannheim, werden seit 2015 vom US-Militär blockiert für logistische Zwecke, in diesem Fall wegen der Kriegsmanöver in Osteuropa. Nicht übersehen werden dürfen auch zivile Einrichtungen, wie der Flughafen Hahn im Hunsrück, dessen Nutzung durch das US-Militär von einer örtlichen Bürgerinitiative auf deren Homepage penibel dokumentiert wird.

Vine weist in “Base Nation” noch auf einen anderen wichtigen Aspekt hin: Im Unterschied zu anderen (Haupt-)Stationierungsländern des US-Militärs in Europa, wie vor allem Italien, hat Deutschland eine optimale Infrastruktur mit Truppenübungsplätzen. Genannt werden muss auch der Luftraum in der Großregion Kaiserslautern als größte Kampfjet-Übungszone Deutschlands.

Weltweit gibt es eine Vielzahl von Standorten mit Militärbasen, wo es gut dokumentierten Widerstand gibt. Die Motive sind dabei sehr unterschiedlich. Überwiegend spielen die Umwelt- und Gesundheitsbelastungen eine Rolle, wie Fluglärm durch (sehr laute) Uralt-Transportmaschinen, Kampfjet-Übungszonen und Hubschrauber. Weitere erhebliche Belastungen sind extrem starke elektomagnetische Strahlungen durch Radaranlagen sowie die Belastung von Oberflächengewässern mit Schadstoffen wie vor allem PFAS-Löschschäume.

Die kumulierten Altlasten im Boden durch PFAS, Mineralöle und Kerosin wirken sich hingegen erst nach Jahrzehnten als Zeitbomben im Grundwasser und damit für die Trinkwasserversorgung aus, sofern keine aufwendigen Sanierungen vorgenommen werden. Politisch wird der Protest vor allem dann, wenn zivile Einrichtungen von US-Militär genutzt werden, wie z.B. in dem politisch neutralen Irland der Flughafen Shannon.

Massenproteste gibt es vor allem in Okinawa. Im August 2018 demonstrierten 70.000 Menschen gegen die umweltzerstörende Verlegung der US Air Base Futenma an den Küstenstreifen von Henoko. Die ganze Dramatik von militärisch verursachten Umwelt- und Gesundheitsbelastungen hat der seit 10 Jahren in Okonawa lebende britische Journalist Jon Mitchell vor allem durch systematische Nutzung des “Freedom of Information Act” der USA aufgearbeitet und Ende 2020 in seinem Buch “Poisoning the Pacific – The US Military‘s secret dumping of Plutonium, Chemical Weapons, and Agent Orange” veröffentlicht.

Doch es ist eine andere Frage, welche Auslöser zu einem durchschlagenden und erfolgreichen Widerstand führen. In Okinawa regt sich z.B. vor allem Protest nach Gewaltverbrechen von US-Soldaten, die aufgrund des Truppenstatuts ungesühnt bleiben.

Aus US-amerikanischer Sicht ergeben sich völlig andere Herangehensweisen. Vine als Hauptredner eines Kongresses der US-Friedensbewegung in Baltimore im Januar 2018 verwies auf den Niedergang der öffentlichen Infrastruktur in den USA am Beispiel des maroden ÖPNV sowie dem fortschreitenden Ausfall von Heizungen in Schulen bei winterlichen Temperaturen. Dem stellte er die hervorragende Infrastruktur von US-Militärstützpunkten im Ausland gegenüber, wie z.B. die medizinische Versorgung in Guantánamo Bay, wovon US-Steuerzahler nur träumen könnten.

Diese monetäre Sicht ließe sich auch in Deutschland auf die Militärregion Kaiserslautern anwenden. Dort befindet sich in Landstuhl das größte US-Militärhospital im Ausland, das in der 50er-Jahren gebaut und seitdem fortlaufend modernisiert wurde. Obwohl dieses nach allgemeinen Maßstäben nach wie vor modern ausgerüstet ist, wird derzeit direkt gegenüber der Air Base (mit weiteren, bereits erfolgten Einschnitten in das dortige Naturschutzgebiet) ein neues US-Hospital erstellt, für das fast 1 Mrd. US-Dollar veranschlagt sind, wovon deutsche Steuerzahler ca. 15 Prozent als Planungskosten übernehmen.

Begründung war seinerzeit (im Jahr 2010), dass man Kriegsverletzte rasant und direkt auf den Operationstisch bringen müsste. Das US-Hospital in Landstuhl ist zwar keine 10 km Luftlinie entfernt, aber nur über öffentliche Straßen erreichbar, obwohl auch ein Helikopter-Landeplatz vorhanden ist.

Das neue US-Hospital in Weilerbach ist dem gegenüber von der Air Base nur durch eine öffentliche Landstraße getrennt. Damit diese einem blitzschnellen Übergang von der Air Base nicht im Wege steht, wird zugleich mit dem Krankenhaus ein neues Gate mit verschlungener Straßenführung, Brückenbauwerk und komplexen Kontrollstellen errichtet.

Ein umfassendes Bild von dieser erschreckenden Gigantomanie erhält man leider nicht über das Satellitenbild – wo aber der Flächenfraß des US-Militärs zu sehen ist – sondern am besten direkt vor Ort. Die Kampagne Stopp Air Base Ramstein beteiligte sich am 30. April an dem “International Day of Action against Military Bases” mit einem Fahrradmarathon um die Air Base, wo diese kilometerlange, mit verschlungenen Zufahrten und Barrieren überdimensionierte Kontrollstellen (mit Umgehungsstrecken für Kriegsverletzte) nicht zu übersehen waren.

Dies ist auch ein Grund, warum bei den anstehenden Aktionstagen in der Woche vom 5. bis 11. Juli diesmal gleich mehrere Fahrrad-Sternfahrten zur Air Base vorgesehen sind, bei denen man sich ein Bild von der Dimension dieser militärischen Logistik-Drehscheibe machen kann.

Der Autor ist Betreiber des Datenbank- und Visualisierungstools VisualBases, das im Auftrag der Kampagne Stopp Air Base Ramstein für den jährlich stattfindenden International Congress against Military Bases in Kaiserslautern erstellt wurde.